Verkehrspolitik ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Feld. Anders als andere Politikfelder zeichnet sich Verkehrspolitik insbesondere durch seinen Querschnittscharakter sowie durch seinen Mehrebenencharakter aus. Der Querschnittcharakter beschreibt die Interdisziplinarität des Feldes. Verkehrspolitik ist nur schwer als exklusives, in sich geschlossenes Feld zu verstehen. Es ist ein Feld, welches von unzähligen anderen Politikfeldern maßgeblich beeinflusst wird. Umweltpolitik, Sozialpolitik, Technologiepolitik, Wirtschaftspolitik, Wettbewerbspolitik und noch viele weitere Felder sind wichtige Komponenten der Verkehrspolitik. Ebenso zeichnet sich das Feld durch einen Mehrebenencharakter aus. Verkehrspolitik ist längst nicht mehr ein vom Nationalstaat hierarchisch bestimmtes Feld. Viele verschiedene staatliche, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure auf allen Ebenen (lokal, national, regional) haben ihre Rolle und ihr Sagen in verkehrspolitischen Prozessen.
Diese besondere Rolle des Verkehrsbereiches hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts immer stärker herausgebildet. So ist beispielsweise das Bewusstsein über die Rolle des Verkehrs im Klima- und Umweltsektor massiv gestiegen. Neue Technologien und Fortschritte im Elektromobilitätsbereichs sowie autonomes Fahren sind Ausdrücke dieses neuen Bewusstseins im Verkehrsbereichs. Doch das letzte Jahrzehnt hat auch offen gelegt, welche massive Probleme und Herausforderungen es noch zu lösen gilt. Gerade die zweite Hälfte des letzten Jahrzehnts hat gezeigt, dass wir erst am Anfang stehen, Umweltprobleme zu lösen oder neue Antriebe und Technologien einzuführen. Doch was für Herausforderungen erwarten uns jetzt im neuen Jahrzehnt? Was liegt noch auf den Schreibtischen der EU-Institutionen? Wir wollen hier einen kleinen verkehrspolitischen Ausblick in die Anfänge des neuen Jahrzehnts geben.
Umwelt, Klima und Energie
Eines der wichtigsten Maßnahmenpakete der neuen Kommission wurde Ende letzten Jahres vorgestellt. Der europäische Grüne Deal (European Green Deal) soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt machen, etwas was auch die neue Kommission als die größte Herausforderung und Chance unserer Zeit bezeichnet. Die Maßnahmen, die mit einem ersten Fahrplan mit den wichtigsten politischen Maßnahmen einhergehen, reichen von einer ehrgeizigen Senkung der Emissionen über Investitionen in Spitzenforschung und Innovation bis hin zur Erhaltung der natürlichen Umwelt Europas. Unterstützt durch Investitionen in grüne Technologien, nachhaltige Lösungen und neue Unternehmen kann der Green Deal eine neue Wachstumsstrategie der EU sein. Die Einbeziehung und das Engagement der Öffentlichkeit und aller Interessengruppen sind für den Erfolg des Green Deal von entscheidender Bedeutung. Die Kommission betont dabei, dass das Paket den Übergang gerecht und sozial gestaltet.
Mit Blick auf den Verkehr plant die Kommission die CO2-Normen für Pkw und Transporter zu überarbeiten, um „ab 2025 einen klaren Weg zu einer emissionsfreien Mobilität“ zu gewährleisten. Die erst gerade im April 2019 von den EU-Institutionen hart erkämpften neuen CO2-Standards sollen noch in diesem Jahr zurück auf den Tisch. Doch es bleibt abzuwarten, ob die CO2-Reduktionsziele werden oder aber die technischen Aspekte im Fokus stehen werden. Es kann erwartet werden, dass dies ein harter Kampf verschiedenster staatlicher und nicht-staatlicher Akteure sein wird. Ebenso plant die Kommission unter von der Leyen innerhalb der ersten 100 Tage ein Klimagesetz zu veröffentlichen.
Es gilt ebenso zu beachten gilt, dass EU-Rechtvorschriften immer eingebaute Überprüfungsklauseln einschließen, die die Kommission verpflichten, in regelmäßigen Abständen eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. So werden im Jahr 2023 die Pkw-Gesetze auf den Prüfstand gestellt und ihre Wirksamkeit bewertet. Die Kommission könnte zu diesem Zeitpunkt beschließen, die Ziele für 2025 und 2030 zu ändern.
Im Zentrum der verkehrspolitischen Debatten sind und bleiben Antriebstechnologien der Vergangenheit und der Zukunft. Auch wenn die Kommission offiziell einen technologieneutralen Ansatz vertritt, konzentrieren sich die meisten Maßnahmen zur Förderung schadstoffarmer und schadstofffreier Fahrzeuge ohne Zweifel auf die Elektromobilität. Maßnahmen wie die Investitionen der Kommission in die European Battery Alliance sollen Europa zudem zukünftig wieder wettbewerbsfähig machen. Es ist klar, dass die Elektromobilität von allen zukünftigen Antriebstechnologien die einzige mit bereits erreichter Marktreife ist. Dennoch dürfen auch andere Technologien nicht ins Hintertreffen geraten.
So hatte der Europäische Automobilherstellerverband (ACEA), Hydrogen Europe und die International Road Transport Union (IRU) Ende letzten Jahres einen gemeinsamen Aufruf für den beschleunigten Aufbau der Wasserstoffbetankungsinfrastruktur in der gesamten EU veröffentlicht. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Ziels der Dekarbonisierung des Verkehrs, betonen die drei Verbände, dass Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge einen positiven Beitrag leisten können. Brennstoffzellenfahrzeuge emittieren am Auspuffrohr keine Emissionen und bei einer nachhaltigen Wasserstofferzeugung ist es auch möglich, die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Ebenso fungiert die Wasserstofftechnologie als Brücke zwischen dem Energie- und dem Verkehrssektor (sektorale Integration) und bietet Lösungen für eine bessere Integration überschüssiger erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne („Power to hydrogen“). Die wachsende Nachfrage nach erneuerbarem und kohlenstoffarmem Wasserstoff in vielen Branchen wird das Angebot erhöhen und die Kosten senken. Ebenso heben die Verbände hervor, dass eine Förderung der Wasserstoffindustrie Europas Wettbewerbsfähigkeit langfristig stärken würde und dies auch Wachstum und Arbeitsplätze bedeuten würde.
Digitalisierung, Vernetzung und Fahrzeugdaten
Ein weiteres Kernthema des nächsten Jahrzehnts wird die Digitalisierung und Vernetzung des Verkehrs sein. Nicht nur der Ausbau passender Technologie und Infrastruktur erfordert dringend die Aufmerksamkeit der europäischen Institutionen, sondern auch insbesondere die Schaffung rechtlicher Rahmen für den Umgang mit Fahrzeugdaten zum Schutz und Wohl des Verbrauchers. Die bisherige Handhabung von Fahrzeugdaten zugunsten der Automobilhersteller schadet unausweichlich der Verbraucherwohlfahrt. Diese Schieflage gilt es zu beheben, und zwar anhand von geeigneten, einheitlichen Regeln für den Umgang mit Fahrzeugdaten. Ein Vorstoß der Kommission ist bereits lange überfällig. Generell sollte ein rechtlicher Rahmen die Transparenz über die Verarbeitung der Fahrzeugdaten, die effektive Gewährleistung der Wahlfreiheit sowie des Rechts auf Datenübertragbarkeit, den Zugang zu den Fahrzeugdaten auf Grundlage des FRAND-Prinzips (Fair Reasonable and Non-Discriminatory) sowie die Erhaltung der Sicherheit und Förderung der Innovationskraft sicherstellen und fördern. So forderten zuletzt auch im Mai 2019 die Abgeordneten des Verkehrsausschuss des Europäischen Parlamentes mit großer Mehrheit die Erarbeitung eines Gesetzentwurfes, der unter anderem den Zugang zu den Fahrzeugdaten regeln soll. Im Bericht wird explizit betont, dass der Zugriff auf die Daten fair, fristgerecht und unbegrenzt ermöglicht werden muss. Ursprünglich sollte die Kommission den Gesetzentwurf bis zum Jahresende vorlegen, welches jedoch nicht passierte. Da nun die neue Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat, darf jedoch nun endlich mit einem entsprechenden baldigen Vorstoß gerechnet werden.
Mautsysteme
Auch die Debatten rund um die Euro-Vignette und Abschaffung zeitbasierter Vignettensysteme wird 2020 und darüber hinaus ein Thema bleiben. Kern des Vorschlags war eine zweistufige Abschaffung der zeitbasierten Vignetten. Stattdessen argumentierte die Kommission für eine digitalisierte streckenbezogene Mautgebühr nach dem Nutzerprinzip. Danach sollten die Distanzen, die Verkehrsteilnehmer auf den entsprechenden Strecken zurücklegen, gemessen werden und anschließend als Basis für die Berechnung der Maut dienen. Eine Erhebung von Gebühren auf Grundlage der Entfernung soll das tatsächliche Maß der Nutzung, Emissionen und Umweltverschmutzung besser widerspiegeln. Bis 2023 sollte so eine streckenbasierte Maut für Lastwagen eingeführt werden und bis zum Jahr 2027 dann für alle Fahrzeuge „anderer Kategorien“, einschließlich Pkw. Doch trotz anfänglicher Zustimmung konnte im Rat bisher keine gemeinsame Position verabschiedet werden. Hinzu kommt, dass selbst innerhalb des höchsten rechtsprechenden Organs der EU das Thema PKW-Maut höchst umstritten ist und zu diametral entgegengesetzten Positionen führt. Die Diskrepanz zwischen den Schlussanträgen des angesehenen Generalanwalts Nils Wahl Anfang 2019 sowie des kürzlichen Urteils der Großen Kammer in der Rechtsache C-591/17 Österreich/Deutschland zeigt den gegenwärtigen Regelungskauderwelsch auf.
Straßenverkehrs- und Fahrzeugsicherheit
Auch die Sicherheit der Fahrzeuge wird ein wiederkehrendes Thema bleiben. Jedoch wurden erst letztes Jahr grundlegende Neuregelungen vereinbart. So müssen ab Mitte 2022 alle Neuwagen, die auf den EU-Markt kommen, mit modernen Sicherheitssystemen ausgestattet sein. Im Anschluss an eine Einigung mit dem Europäischen Parlament im März 2018 verabschiedete der Rat, um die Zahl der Verkehrsopfer deutlich zu verringern. Die neue Verordnung sieht vor, dass etwa 30 verschiedene Technologien oder Systeme in neuen Fahrzeugen verschiedener Typen eingeführt werden müssen. Gemäß der Vereinbarung werden die meisten Technologien im Mai 2022 für neue Fahrzeugmodelle und im Mai 2024 für bestehende Modelle verbindlich. Die Europäische Kommission erwartet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen bis 2038 dazu beitragen werden, mehr als 25.000 Menschenleben zu retten und mindestens 140.000 schwere Verletzungen zu verhindern.
Siehe auch:
EAC Positionspapier: Vernetzte Autos
EAC Positionspapier: Einheitliche PKW-Mautregeln für den Einheitlichen Europäischen Verkehrsraum
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